Sommerurlaub 2024 in Siebenbürgen

Roselinde Markel
16 min readSep 15, 2024

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Heimat, ohne Grenzen? Heimat, ein Erlebnis?

An einem Sommermorgen

Da nimm den Wanderstab,

Es fallen deine Sorgen

Wie Nebel von dir ab.

Des Himmels heitere Bläue

Lacht dir ins Herz hinein B1- Landschaftsbild- Sbi Landschaft mit Kühen/Schafe/ Wohnwägen

Und schließt, wie Gottes Treue

Mit seinem Dach dich ein.

Rings Blüten nur und Triebe

Und Halme von Segen schwer,

Dir ist, als zöge die Liebe

Des Weges nebenher.

So heimisch alles klinget

Als wie im Vaterhaus,

Und über die Lerchen schwinget

Die Seele sich hinaus.“

GUTER RAT, Theodor Fontane

Die Ankündigung einer vielversprechenden Veranstaltung in den sozialen Medien beflügelte unsere weite Anreise aus Deutschland nach Hermannstadt und sollte wieder ein gelungener Auftakt in unseren Sommerurlaub in Siebenbürgen werden. Dieser dritte musikalisch-literarische Salon in Hermannstadt, der im Rahmen des 28. Klavierwettbewerbes „Carl Filtsch” am 11. Juli 2024 stattfand, war diesmal der Begegnung der beiden genialen Musiker Franz Liszt (1811–1886) und Carl Filtsch (1830–1845) gewidmet, zwei Wunderkinder aus der Zeit des Habsburgischen Kaiserreichs. Es trafen sich im Spiegelsaal des Deutschen Forums der Deutschen in Rumänien (DFDR) in Hermannstadt geladene Gäste aus dem kulturellen und künstlerischen Leben der Stadt aber auch Musikliebhaber von nah und fern zu der zur Tradition gewachsenen Sommerveranstaltung, die Dagmar Dusil organisiert und dazu das Künstlerteam koordiniert hatte.

Der wunderschöne Spiegelsaal in Hermannstadt war schon eine gute Weile vor Beginn der Veranstaltung voll besetzt. Wir mittendrin. In Erwartung dessen, was folgen sollte, fächerten die Gäste fleissig mit bunten Fächern oder mit Programmheften sich frische Luft zu (die Temperaturen waren unerträgliche 36 Grad hoch) und plauderten interessiert miteinander. Bekannte Gesichter, liebevolle Begrüßungen und erste freudige Umarmungen ließen unsere Herzen schneller schlagen.

Wieder einmal ausgeflogen,

Wieder einmal heimgekehrt,

Fand ich doch die alten Freunde

Und die Herzen unversehrt.

Wird uns wieder wohl vereinen

Frischer Ost und frischer West?

Auch die losesten der Vögel

Tragen allgemach zu Nest.

Immer schwerer wird das Päckchen

Kaum noch trägt es sich allein;

Und in immer enger Fesseln

Schlinget uns die Heimat ein.

Und an seines Hauses Schwelle

Wird ein jeder fest gebannt;

Aber Liebesfäden spinnen

Heimlich sich von Land zu Land.

AN DIE FREUNDE, Theodor Storm

Und es geschah genau so, wie wir es erwartet hatten: es war stimmungsvoll, informativ und mitreissend. Nach einer kurzen Begrüßung und ein paar einleitenden Worten zur Thematik des Abends stellte Dagmar Dusil die drei Akteure, zwei Pianisten und die Vorleserin, vor. Der von ihr verfasste spannende Text wurde im Programmheft zweisprachig, rumänisch und deutsch, zum Mitlesen bereitgestellt. Mit ihrer hellen und unverkennbaren Stimme lenkte dann die rumänische Schauspielerin Lerida Buchholtzer unsere Aufmerksamkeit in die Zeit der Geburtsjahre der beiden genialen Musiker, die beide in dem östlichen Teil des ehemaligen Habsburgischen Kaiserreiches geboren wurden. Trotz des Altersunterschied von 29 Jahren sollten die Virtuosen sich später begegnen und schätzen lernen. Mit der Ungarischen Rhapsodie Nr. 2 von Liszt und der Romanze ohne Worte von Filtsch führte die Pianistin Adela Liculescu uns in die Musik der beiden Haupthelden ein. Kozma Istvan Levante begeisterte seinerseits das Publikum mit zwei wenig bekannten aber dennoch schwierigen Werken von Filtsch, Etüde op. 8 F-Dur und Variationen auf ein Thema von Bellini. In Abwechslung zu diesen bemerkenswerten Klavierstücken aus dem Fundus der Komponisten Liszt und Filtsch, trug Lerida Buchholzer den fesselnden und informativen Text von Dagmar Dusil in rumänischer Sprache vor. Es ist der Autorin Dusil gelungen, eine Reihe parallele Aspekte aber auch essentielle Unterschiede aus dem Leben und den Werken der beiden Musikergenies zusammen zu tragen:

„Franz war erst 15 Jahre alt, als mit dem Tod seines Vaters, seine Kindheit endete. Für Carl Filtsch, endete mit 15 Jahren nicht nur seine Kindheit, sondern sein ganzes Leben.“

1838 begegnete der achtjährige Carl in Wien dem bereits in ganz Europa gut bekannten Pianisten Liszt. Er dürfe sicherlich von dem turbulenten Musiker beeindruckt gewesen sein, der durch sein leidenschaftliches Spielen nicht selten Melodien zerriss und Klaviere zerlegte. Und dennoch, die beiden kommen sich näher, verstehen einander und Carl wird vom großen Liszt liebevoll, das Wunderkind Siebenbürgens‘ genannt. Auch der gefürchtete Musikkritiker der Zeit M. Saphir erkennt schnell die große technische Begabung und das Talent der Improvisation des jungen Meisters beim Spiel, was einen schöpferischen Musiker ausmacht. Mit nur 12 Jahren spielt sich Carl Filtsch in die Herzen der Wiener Musiker und verspricht: „ein musikalischer Schöpfer zu werden.“ Die Gäste dieses musikalisch-literarischen Salon erfuhren aus mehreren Textteilen zwischen den Klavierstücken von Liszt und Filtsch weitere spannende Details aus deren Leben: beide verlassen ungefähr im gleichen Alter ihren Geburtsort, Raiding und Mühlbach, damalige Gebiete der Habsburger Monarchie; beide sprechen mehrere europäische Sprachen; beide tragen ein Gefühl der Heimatlosigkeit mit sich und werden fern der Heimat zu Grabe getragen; beide feiern auch in Siebenbürgen triumphale Erfolge mit ihren Konzerten und kehren danach nie wieder in die Heimat zurück: Carl stirbt viel zu früh und Franz bleibt dem Hermannstadt verletzt fern, da er nach Nichterfüllung einer Zugabe von dem Sachsenpublikum ausgepfiffen wird. Und dennoch, die Musik beider Komponisten wird bis heute immer noch gern auch in Siebenbürgen gehört. Frau Dusil fasst zum Schluss zusammen: „In einer Welt voller Spannungen und Disharmonien… ist Musik wichtiger den je, denn sie bewegt, löst Emotionen aus, weckt Energie und Kraft, motiviert, bringt Menschen zusammen und befriedet. So auch die Musik von Liszt und Filtsch.“ Das begeisterte Publikum des Abends würdigte die Leistung der vier Künstler mit einem langanhaltenden Standing Ovation.

Ist es nicht doch ein unglaubliches Wunder, denke ich im Stillen, was wir heute nach über 200 Jahren hier in Europa so erleben dürfen? Was zu Liszt und Filtsch Zeiten nur ganz Großen vergönnt war, ist heutzutage für die Mehrheit der europäischen Völker eine Selbstverständlichkeit: wir sprechen mehrere Sprachen, wir reisen mehr oder weniger nach Lust und Laune aus einem Land ins andere und überschreiten die Grenzen ohne weitere Unannehmlichkeiten. Nach so vielen erfüllenden und erhabenen Gedanken an diesem Abend und nach soviel emotionalen Klavierklängen war es nur allzu schön, dass die Gäste sich um die gedeckten Stehtische reihen konnten und beim Genuss von feinsten Häppchen aus dem Hause ALBOTA sich austauschten. Für uns, mein Sohn und ich, gerade angereiste Siebenbürger war dieser musikalisch-literarische Abend der perfekte Auftakt in den diesjährigen Sommerurlaub in Siebenbürgen, der in den nächsten Tagen noch ganz viele Höhepunkte versprach. Es gibt Urlaube mit bestimmtem Ziel. Das ist wunderbar. Oft höre ich aber davon, dass der Weg schon das Ziel sein kann. Unser Weg war eindeutig. Er führte nach dem Weg bis Hermannstadt uns über Mediasch, Schäßburg, Reps nach Deutsch Weißkirsch. Hier kehrten wir ins Haus 160, ein wunderbares Erbe der Schwiegereltern/ Großeltern, erschöpft ein. Erst schritten wir durch Haus und Hof und über den großen Garten und versuchten nach all den Reisestrapazen zu Ruhe zu kommen. Wir müssen jedes Jahr in der alten Heimat erst richtig ankommen, um weiter zu kommen. Bald fanden wir aber in der Stille unseres Gartens auf der Terrasse ein bequemes Plätzchen, um unmittelbar Erlebtes zu verarbeiten.

Spätestens als die Nachbarin Elena den Topf Sarmale auf den Tisch stellte und ein paar Schnitten Kartoffelbrot dazu, erlebten wir ein Gefühl des Angekommen-Seins. Waren wir aber tatsächlich am Ziel unserer Reise angekommen? Ein großes Veranstaltungsprogramm in Broschüren, welches auch in den verschiedenen Medien bekannt gegeben war, lag am Tisch und zeigte, dass es nun galt, ein paar der vielen Angebote an Veranstaltungen, die uns interessierten mit unseren Plänen überein zustimmen. Spontan entschied ich mich, der freundlichen Einladung unserer Kuratorin Marlies Markel-Gherghiceanu zu einem besonderen Gottesdienst gleich am darauf folgenden Sonntag, 21.07 in Deutsch Tekes, zu folgen. Von diesem sächsischen Dorf nördlich von Fogarasch hatte ich in jungen Jahren oft gehört, da eine Freundin von dort stammte. Jetzt, wo ich so nahe an Takes glaubte zu sein, wollte ich es mir nicht entgehen lassen, dies Dörfchen kennen zu lernen und machte mich alleine auf den Weg dahin. Eine gut zu fahrende Bundesstraße an Hoghiz vorbei schlängelte sich in der siebenbürgisch typischen Hügellandschaft dem Ziele entgegen. Schön, wenn man nicht durch die Gegend rasen muss und links und rechts wahrnehmen kann, was da so grünt und blüht trotz Dürrezeiten. Dörfchen für Dörfchen in seinem verträumten Flair zu erleben, war einfach außergewöhnlich schön.

Ich wollte stehen bleiben,

es trieb mich wieder weiter,

vorbei an schwarzen Bäumen,

doch unter schwarzen Bäumen

wollt ich schnell stehen bleiben

es trieb mich wieder weiter,

Vorbei an grünen Wiesen

wollt ich nur stehen bleiben,

es trieb mich wieder weiter,

vorbei an armen Häuschen,

bei einem dieser Häuschen

möcht` ich doch stehen bleiben,

und wie sein Rauch gemächlich

zum Himmel steigt, ich möchte

jetzt lange stehen bleiben.

dies sagte ich und lachte,

das Grün der Wiesen lachte

der Rauch stieg räuchlich lächelnd,

es trieb mich wieder weiter.

WEITER v Robert Walser

Die Tekeser Kirchenburg war liebst geschmückt und die Bänke bereits gut besetzt, als ich sie betrat. Der Chor der Singfreizeit aus Fogarasch unter der Leitung von Christiane Neubauer gestaltete den Gottesdienst musikalisch in andächtiger Form. Das Hauptstück war die bekannte Mottete von Paul Gerhardt zu dem Lied `Befiel du deine Wege`. Es ist ein geistliches Lied zum Thema Gottvertrauen und berührt mich persönlich jedesmal tief. Ich googelte und erfuhr, dass dieser Kirchenchoral zwölf Strophen hat. Jede Strophe macht nachdenklich und ist wunderbar. Auch in der Kirchenburg Deutsch Tekes erwartete uns nach den geistlich musikalischen Feierlichkeiten ein Festbuffet vom Feinsten von den Frauen des Dorfes zubereitet. Ansässige rumänische Frauen die zusammen mit Sächsinnen, die aus Deutschland heim gereist waren, hatten das reichhaltige Buffet zubereitet und im Burghof im Schatten der Lindenbäume aufgestellt. Weitere freudige Begrüßungen, liebevolle Umarmungen und nette Gespräche rundeten auch diesen zweiten Festtag ab. Die Melodie des Chorals begleitete mich noch lange Zeit und während ich schreibe klingt sie in mir wieder.

Befiel du deine Wege

und was dein Herze kränkt

der allertreusten Pflege

des, der den Himmel lenkt.

Der Wolken, Luft und Winden.

gibt Wege, Lauf und Bahn,

der wird auch Wege finden,

da dein Fuß gehen kann.

………

Hoff, o du arme Seele,

hoff und sei unverzagt!

Gott wird dich aus der Höhle,

da dich der Kummer plagt,

mit großen Gnaden rücken;

erwarte nur die Zeit,

so wirst du schon erblicken

die Sonn der schönsten Freud.

…….

Das große Angebot der Veranstaltungen im diesjährigen Sommer in Siebenbürgen konnte beim besten Willen in seiner Fülle nicht vollzählig wahrgenommen werden. Viele bevorzugte Ansprachen, Tanzvorführungen, Blaskapellen, Ausstellungen Kunstdarbietungen Museumsbesuche, Workshops, Gottesdienste, Konzerte und Minikonzerte auf ganz Siebenbürgen verteilt, waren terminlich gleichgeschaltet. Aus den Broschüren zu den HOGs, zu den jährlich stattfindenden Haferlandtagen und aus dem Programm zum Großen Sachsentreffen vom 2. zum 4. August in Hermannstadt hieß es nun wieder, sich seinen Weg zu finden. Für uns persönlich kam noch hinzu, dass mein Sohn Johann mit örtlichen Künstlern des Gesangs, der Malerei und der Zeichenkunst eine zweiwöchige FOLKLORIUM Viscri Arts in unserer Scheune organisiert hatte, die der Öffentlichkeit täglich von 12:00 bis 15:00 Uhr zugänglich war. Schon die Eröffnungsfeier war ein großer Erfolg für die acht beteiligten Kunstschaffenden, deren Werke in der Kunstscheune ausgestellt waren. Der Chor Canta Viscri unter der Leitung von Marlies Markel-Gherghiceanu sang die Leute herbei und begeisterte mit einem vielseitigen Repertoire das Publikum und brachte es zum Schunkeln und zum Mitsingen. Auch zwei exzellente Workshops lockten begeisterte Teilnehmer in unsere Kunstscheune. Eine der besten Expertinnen für traditionelle siebenbürgisch-sächsische Holzmalerei, Frau Manuela Maria Ivan war zugange. Die Teilnehmer lernten, wie man traditionelle Deutsch Weißkircher Möbelmalerei angeht und malt, auch wenn es nur kleine ausgewählte Holzobjekte waren: Schmuckschatulle, Schlüsselanhänger, Tablett oder eine kleine Uhr. Jede Teilnehmer*in trug nach ein paar Stunden einen hübsch bemalten Holzgegenstand stolz nach Hause.

Wir aus dem Hause 160 reisten am letzten Tag des Großen Sachsentreffens nach Hermannstadt. An diesem Tag drei Stunden vor dem großen Auftritt von Peter Maffay, was in aller Munde war, fand Johanns Klavierkonzert im wunderschönen Spiegelsaal des Deutschen Forums statt.

Im vollbesetzten Saal und mit einer professionellen sicheren Haltung spielte er sich in die Herzen der Zuhörer und erntete viel Applaus. Diesmal waren die Temperaturen im Saal angemessen und nur der Pianist musste ab und zu seine Stirn trocknen. Die anspruchsvolle Sonate Nr25 op 79 G-Dur von Ludwig van Beethoven, aber auch die weiteren Stücke von Chopin, Franz Liszt und Ravel füllten den Raum mit wunderbaren Klängen. Das Poéme de l´èxtase, die Sonate Nr.5 op 53 von Alexander Skrjabin, eines meiner Lieblingsstücke gelang ihm hervorragend schön. Kein Wunder, dass eine Zugabe herbei geklatscht wurde. Ein Wunder der modernen Technik aber, dass sein Freund aus Lima über die Übertragung mitfiebern und mithören konnte. Nach kurzen anschließenden Gesprächen mit Musikfreunden bzw. bekannten Gästen gingen wir zum großen Ring, dem einzigartigen letzten Auftritt von `Peter dem Großen`. Nicht zu fassen , was sich da in der Stadt abspielte. Ich gehe davon aus, dass die meisten Leser dieser Zeitung von diesem Erlebnis bereits gehört oder gelesen haben. Ich selber ertrug die Lautstärke nur sehr schlecht.

Heimat ist ein großes, warmes aber auch ein umstrittenes Wort. Ich glaube, dass der Ort, bei dem dein Herz aufgeht, wenn du ihn auch nur nennst, deine Heimat ist. Es gehören natürlich auch die Menschen dazu, die dir vertraut waren und dich in bestimmten Lagen auf bestimmte Weise auch auffangen konnten. Beim Heimattag in Heldsdorf am 11. August zum Beispiel traf ich einen älteren Herrn, den ich aus Kindestagen gut kannte. Er begrüßte uns herzlich und als er vom kürzlichen Tod seiner Frau Hilde berichten wollte, übermannte ihn ein heftiger Weinkrampf. Ich trat auf ihn zu, umarmte ihn und wir lagen uns für kurze Zeit in den Armen. Er bedankte sich herzlichst für meine Anteilnahme. Nach ein paar Schritten weiter musste ich meine Tränen trocknen. Ein kurzer Moment war es und die Vergänglichkeit guter alter Zeiten hatte uns im Griff. Heimat löst ein Auf und Ab der Gefühle aus. Heimat mit kantigen Grenzen ist hingegen bitter. Das ist uns allen bekannt. Ein Blick auf die Heimat aus der Ferne kommend ernüchtert, kann aber auch wegen eines spontanen Wiedersehens Freude auslösen. Zu lange der Heimat fern bleiben, kann zu tiefen seelischen Verletzungen führen bis hin zu falschen Vorstellungen der gegenwärtigen Realität. Heimat ohne Grenzen klingt hingegen erfüllend und großartig. Die Welt zu erkunden und zu wissen, wann immer zurück gehen zu können, wenn auch nur für kurze Zeit, beglückt und beruhigt. Na klar. Wir leben mitten in dieser Zeit, wo wir reisen können und Heimatgefühle drüben als auch hüben ausleben dürfen. Von sehr guten Freunden und Freundinnen, die beim Sachsentreffen in Hermannstadt von Anfang bis zum Ende dabei waren, erfuhr ich, dass dieses Großereignis des Siebenbürger Sachentreffens seines Gleichen sucht. Es sollen insgesamt über 2200 Trachtenträger*innen in 84 Gruppen durch die Stadt gezogen sein. Der allgemeinen sächsischen Meinung nach und bis hin in die rumänische Gesellschaft hinein soll das Treffen absolut gut organisiert gewesen sein. „Essen und Getränke konnten die Teilnehmer auf dem großen und dem kleinen Ring mit ihrer Bankkarte kaufen, ganz gleich in welchem Land sie ausgestellt wurden. Wer keine Bankkarte besaß, konnte bei zwei Ständen eine Zahlkarte erhalten, die er mit einem Geldbetrag seiner Wahl aufladen ließ. Ein eventueller unverbrauchter Betrag auf der Zahlkarte konnte am letzten Sonntag bis 23:00 Uhr zurückerhalten werden. Barzahlung an den Ständen war nicht möglich.“, informierte Dietmar Groß aus Deutsch Weisskirch auf dem Dorfchat die Leute. Trachtenträger*innen und Blaskapellen waren aus Deutschland, Österreich, Kanada und der USA angereist. Auch eine kleine Gruppe aus der Schweiz lief mit, erzählte Dietmar voller Bewunderung. Hilde Weidle, eine ehemalige Hermannstädter Freundin ließ mich wissen: „Es war so beeindruckend zu erleben, wie sicher die vielen Trachtenträger ihre Tänze vorführten, obwohl sie aus allen Teilen der Welt hierher gekommen waren und kaum Zeit zum Üben hatten. Ihre schweren Trachten hatten sie im Gepäck mitgebracht und trugen sie stolz.“ Hilde berichtete auch von wehmütigen Momenten, beim Betrachten des Umzuges und dem Gedanken daran, dass es all diese wunderbaren siebenbürgisch sächsischen Bräuche eigentlich fast gar nicht mehr gibt, allerhöchstens zu so seltenen Anlässen. Hilde lebt zwischen Talmesch und Bukarest und weiss, wie traurig es an kirchlichen Feiertagen ist, wenn nur eine Handvoll alter Leute am Gottesdienst teilnehmen. Paul Körner, ein weiterer Hermannstädter Freund erzählte, dass er den Trachtenumzug in der Heltauer Strasse zum Großen Ring gefilmt und fotografiert hat, um beste Bilder mit der wunderschönen bunten sächsischen Tracht der Siebenbürger an seine neugierigen Bekannten und Verwandten aus der neuen Heimat Deutschland zu schicken. Er hätte es nicht für möglich gehalten, teilt er weiterhin mit, dass grad so viele Trachtenträger*innen durch die Stadt ziehen. In den drei Tagen des Großen Sachsentreffens habe man soviel Deutsch und Sächsisch auf Hermannstädter Strassen reden gehört, wie zu alten Zeiten. Gertrud Schuster, Lehrerin in Schäßburg und aus Deutsch Weißkirsch stammend, fasst ihre Eindrücke wie folgt zusammen: „Seit dem ersten Großen Sachsentreffen sind ein paar Jahre vergangen, mehr als geplant. Ich habe es erleben dürfen, wie es in diesem Jahr in Hermannstadt war. Mehr noch als der Trachtenaufmarsch war es schön, überall in der Stadt sächsisch und deutsch sprechen zu hören. Der Umzug war der erste Höhepunkt des Festes und ich war nicht die einzige Zuschauerin, die vor Freude geweint hat. Es hat mich sehr beeindruckt, wie viel Mühe die weit hergereisten Sachsen auf sich genommen haben und wie perfekte sie in den Trachten aussahen. Die Klänge der Adjuvanten passten ausgezeichnet dazu. Ein wunderbares Bild für uns Zuschauer. Es sind auch viele Jugendlichen wahrscheinlich zum ersten Mal in Siebenbürgen gewesen aber bestimmt nicht das letzte Mal hierher gereist. Ich hoffe, dass die Erwartungen aller Teilnehmer erfüllt wurden. Das Schlusserlebnis mit dem Rocker Peter Maffay war unbeschreiblich. Ich würde behaupten, dass Hermannstadt unser authentischster Treffpunkt für solch ein Riesenfest ist. Ich wünsche mir, noch mal sowas Einmaliges erleben zu dürfen.“ Von Dietmar Gross, dem kompetenten und erfahrenen Siebenbürgen Kenner und in Deutsch-Weißkirsch lebend, durfte ich weiterhin erfahren, dass im Bericht des Deutschlandfunks hervorragende Aussagen zu diesem siebenbürgischen Großereignis in Hermannstadt bereits veröffentlicht wurden. Seine Meinung läßt er uns dennoch wissen: „ Wir werden so ein Treffen, wo Staatspräsident, örtliche Oberbürgermeisterin, Rockstar Peter Maffay und soviel Siebenbürger Sachsen zusammentreffen, nicht wieder erleben. Nach Krieg, Flucht und Vertreibung, Deportation, Kommunismus und danach Revolution und Exodus der Siebenbürger Sachen, erleben wir nun in Friedenszeiten einen Höhepunkt der jüngeren Geschichte. Wir sind die Brückenbauer vor allem zwischen Deutschland und Rumänien.“ Ich stimme meinen obigen Freunden und Freundinnen voll und ganz zu und füge hinzu: Wir, älteren Siebenbürger Sachsen/ Sächsinnen sind nicht nur Brückenbauer zwischen zwei wichtigen Europäischen Ländern sondern auch Brückenleger zwischen den Generationen. Noch kann es uns gelingen etwas weiter zu reichen, was wir von unseren Eltern und Großeltern und natürlich unseren Vorfahren weiter gereicht bekommen haben. Es geht allerdings nicht nur um Trachten, Trachtenumzüge, Volkslieder und Volkstänze oder gar nur um die Rezepte der siebenbürgischen Küchenspezialitäten. Es geht eigentlich auch um sonstige allgemeine Werte, die wir in unserem Elternhaus oder in der Dorfgemeinschaft erlebt und gelebt haben. Es ist zum Beispiel das Mitgefühl für den Nächsten und die Toleranz und die Akzeptanz fürs Anderssein. Weiterhin ist es die Offenheit gegenüber anders sprechenden Menschen und deren Religion. Ein Paradebeispiel dafür spielte sich am 11. August in unserer Kunstscheune ab, als nach dem fünftägigen Haferlandfest in den 8 Orten des Repser Ländchen, als sich eine Menge Leute unterschiedlicher Art zum Abschlussfest in unserer Kunstscheune zusammen fanden. Die Tage davor waren reihum in den Orten mit hochwertigen Angeboten von Ansprachen, von Gesang und Tänzen und reichlichem kulinarischen Spezialitäten gefüllt. Es kam schon da zu freudigen Begegnungen und vielen schönen Stunden. Das Schlussfest bei uns war eine Kunst und Musikveranstaltung für alle, die Freude am Leben haben. Es begann erneut mit dem Klavierkonzert von Johann. Dann folgte das Scheunenprogramm. Die Begegnungen mit den Kunstschaffenden der Ausstellung VISCRIARTS, mit dem flotten multikulti Chor CANTA Viscri wurde für das begeisterte Publikum von nah und fern ein Erlebnis. Es war mehr als nur ein Aufeinander — Treffen von Menschen. Es waren Begegnungen von Menschen. Genau dies konnte ich über den gesamten Sommerurlaub bei den Treffen der HOGs, bei den Haferlandfesten und bei dem Großen Sachsentreffen in Hermannstadt immer wieder beobachten: wunderbare Begegnungen von Menschen. Kleine Grüppchen im intensiven Austausch von Gedanken und Erfahrungen. Und wenn ich an das Lied von Joseph Eichendorf denke, trifft es zu, dass wir diesen Sommer viele Wunder erleben durften und gestärkt in die neue Heimat zurückgekehrt sind. Am Liebsten würde ich jetzt sofort das Lied vom Frohen Wandersmann mit Ihnen zusammen, liebe Leser*innen aus voller Kehl und Brust singen:

Wem Gott will rechte Gunst erweisen,

Den schickt er in die weite Welt;

Dem will er seine Wunder weisen

In Berg und Wald und Strom und Feld.

Die Trägen, die zu Hause liegen,

Erquicket nicht das Morgenrot,

Sie wissen nur von Kinderwiegen,

Von Sorgen, Last und Not um Brot.

Den lieben Gott lass ich nur walten,

Der Bächlein, Lerchen,

Wald und Feld Und Erd und Himmel will erhalten,

Hat auch mein Sach aufs best bestellt!

Der frohe Wandersmann / Joseph von Eichendorf

Eine kleine wundersame Geschichte, von denen es viele gab, aus dem Sommer in Siebenbürgen möchte ich Ihnen dennoch nicht vorenthalten. An einem dieser Haferlandtage zog es Helmut und mich nach Radeln neben Reps. Eine Dorfführung war angesagt. In diesem verträumten Dörfchen hat Peter Maffay ein Kinderheim auf dem idyllisch gelegenen Pfarrhof eingerichtet. Traumatisierte Minderjährige finden da einen Ort der Erholung unter professioneller Begleitung. Über die Jahre hinweg hat der Rockstar viel für die schlichte Dorfinfrastruktur tun lassen. Peters Stiftung ist nach wie vor dort tätig und sorgt auch für die in sehr armen Verhältnis lebenden Roma Kinder. Wenige Radler Sachsen haben aus eigenen Kräften ihre Häuser bewohnbar hergerichtet. Viele Häuser stehen verlassen, vergammelt und von Sträuchern zugewachsen da. Ein Radler Sachse in sächsischer Tracht führte eine recht große Menschenschar durchs Dorf und blieb an ehemaligen wichtigen Einrichtungen, die fast nicht in ihrer ursprünglichen Funktion zu erkennen waren, stehen und erzählte das Nötige dazu. Jeder Teilnehmer konnte von dem Leben der stolzen sächsischen Bevölkerung eine gewisse Ahnung bekommen. Mir war das ja alles bekannt aber Helmut aus Dresden stammend eben nicht. Darum waren wir dabei. Plötzlich tauchte wie aus dem Nichts ein kleines Roma Mädchen vor mir auf mit einem Blümchen in der Hand und sagte: Pentru tine.(für dich) Ich war erst erstaunt, dann berührt und beglückt. Ich sah mich um, ob weitere Kinder ähnliches taten. Nein — weit und breit kein Kind. Was für ein kleines Wunder, dass dies Mädchen im hübschen Sommerkleidung mich aus der grossen Gruppe auserwählt hatte und mir ein Blümchen überreichte. Sie erzählte mir, dass sie in die dritte Klasse komme, gute Noten habe und wies auf eine kleine Hütte neben der großen alten Mühle am Ende des Dorfes, wo sie mit ihrer Familie lebte. Ich drückte sie zaghaft und bedankte mich herzlichst. Als sie mir ihren Namen nannte, war ich dann doch erstaunt. Sie heiße Erika, sagte sie fröhlich und war auch schon wieder weg. Ich glaube, wenn nicht ihre Mutter dann sicherlich ihre Großmutter hatte eine gute Sächsin namens Erika zur Freundin. In Erinnerung an diese gute sächsische Seele wurde die Enkelin Erika gennant. Glaube ich. Berührend, oder?

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Roselinde Markel

Roselinde Markel wurde in Heldsdorf bei Kronstadt geboren. Sie arbeitete als Grundschullehrerin und hat eine Leidenschaft für Literatur.