Ein Sommer wie jeder andere auch?

Roselinde Markel
16 min readJun 19, 2021

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Als Sommersache plant man zumindest einen Kurzurlaub im Jahr in die alte Heimat Siebenbürgen, egal ob im Frühling, im Sommer, im Herbst, nur selten auch mal im Winter. Ein Sommersache hätte ein grosses Problem, müsste er in seiner „Urlaubszeit“, den ganzen lieben langen Tag über irgendwo nur so „rum hängen“ und nicht doch etwas „Gescheites“ tun, sprich werkeln. Er neigt in der Regel dazu, sich im ehemaligen Haus, Hof und Garten mit kreativen und eigenen Arbeit zu beschäftigen und das mit beeindruckender Freude. Er nimmt erst nach getaner Arbeit auch am Dorfleben teil. In Deutsch-Weisskirch heißt das, sich gegen Abend vors Haus begeben, auf die Bank unter den Birnbaum zu setzen, sich mit den Nachbarn und alten Bekannten auszutauschen und die Kuhherde auf ihrem Heimweg von der Weide zu begrüssen und zu begutachten.

Der interessierte Sommersachse macht während des Aufenthaltes in seinem Anwesen Ausflüge in die unmittelbare Nähe des Dorfes und gleichermaßen zu den unzähligen und fernerliegenden Sehenswürdigkeiten des Landes. Einige Ecken Rumäniens kennt er noch von den vielen Schulausflügen aus der Kindheit und Jugendzeit, andere Ecken Rumäniens sind ihm nur aus Büchern, Filmen und Erzählungen bekannt. Er freut sich zunehmend auch am „neuen“ Treiben der einheimischen Bevölkerung und der grossartigen Landschaft des Landes. Zugegeben, so oder so ähnlich haben mein Mann und ich die letzten paar Jahre, vor seinem plötzlichen Tod unsere Urlaube verbracht. Wir fanden es erfüllend und bereichernd, diese Sommerzeiten im Elternhof zu verbringen, die eine oder andere notwendige Arbeit zu erledigen und unzähligen Ausflügen in die Umgebung zu unternehmen. Unendlich viele unvergessenen Reisen durch Rumänien haben uns Land und Leute ganz nahe gebracht.

Über zwanzig Jahre lang stand unser Haus, Hof und der große Garten in Deutsch-Weisskirch mehr oder weniger verlassen und vereinsamt. Ein überaus ruhiges und sehr bedächtiges Angehen meines Mannes an eine Instandsetzung des Anwesens ermöglichte es, dass wir uns vor den schier unlösbaren Renovierungsarbeiten nie überfordert gefühlt haben oder gar verzweifelt sind. Schritt für Schritt ging es mit den Auf- und Umräumarbeiten aber auch mit ersten Bauarbeiten voran. Um uns das wieder erworbene Sommernest nachhaltig, gemütlich und bewohnbar herzurichten, holten wir uns Unterstützung und Hilfe von guten Freunden und erfahrenen Fachleuten. Nicht alles, was der Zahn der Zeit und die Gewalt der Natur am Gebäude, im Hof und Garten so grundlegend verändert hatte, hätten wir aus eigener Kraft so wunderschön herrichten können, wie es jetzt da steht. Die alte Stube wurde geputzt, gestrichen und wieder wohnlich für uns oder unsere Gäste eingerichtet, in der ehemaligen Schleuderkammer (noch bis 1989 wurde da Honig geschleudert) hat der Dorfschreiner eine Sommerküche aufgebaut, die Schreinerwerkstatt des Schwiegervaters haben wir in ein geräumiges Musikzimmer umgewandelt, die ehemalige Streichkammer (Fensterrahmen und Türen brauchten einen ruhigen Platz zum Trocknen) wurde in ein liebevolles zweites Gästezimmer mit Bad verzaubert.

Zwischen den zwei einzigartigen Bienenhäuser haben wir uns einen gemütlichen Terrassenplatz angelegt. Noch in den 40er Jahren hat mein Schwiegervater diese zwei großartigen Prachthäuser für seine zahlreiche Bienenvölker gemeistert. Sie sind beide sehr gut erhalten geblieben und wir haben sie in zwei noble Räume für Werkzeug und Gartengeräte umfunktioniert. Einmal in Schwung geraten mit dem Planen und den vielen Renovierungsarbeiten, war mein Mann nicht mehr zu bremsen. Er schuf uns auf seinem Elternhof mit kreativem und großem Geschick einen besonderen Ort des Rückzuges und der Erholung. So oft es uns möglich ist, fahren wir sehr gerne hin. Deutsch-Weisskirch gehört zum Weltkulturerbe. Es ist ein Dorf, in dem es nur auf den ersten Blick so scheint, als wäre die Zeit stehen geblieben. Ist sie aber nicht. Auch dort hat sich die Zeit verändert und das Leben der Bevölkerung ist ein anderes geworden, als es noch zu der Zeit war, als der große Exitus der Siebenbürger anfing. Für uns und für ganz viele Gäste auch aus entfernten Ländern, ist Derutsch-Weisskirch auf alle Fall eine Oase der Entschleunigung vom hektischen städtischen Leben geworden.

Dieser vergangene Sommer sollte allerdings ein Sommer wie kein anderer werden. Es ging diesmal nicht nur darum, eine lange Reise auf sich zu nehmen und an unserem vertrauten Plätzchen Deutsch-Weisskirch heil anzukommen, sondern es ging auch darum, uns und andere nicht leichtsinnig mit dem Corona19 Virus zu gefährden. Schon den ganzen Frühling über steckten wir doch alle in diesem ersten Hausarrest und es war sehr fraglich, ob wir zu gewohnter Zeit eine Reise nach Rumänien wagen können. Eine Pandemie war und ist für uns alle eine neue grosse Herausforderung, die nur überstanden werden kann, wenn wir alle zusammen halten. Das war uns bewusst. Die Lockerungen noch Ende Juni nahmen wir erfreulich an. Eine Reise nach Siebenbürgen wurde allerdings von den meisten unserer Freunden dennoch ausgeschlossen, denn die Meldungen von steigenden Coronafällen in Rumänen hörten sich erschreckend an. Unser tägliches Leben war plötzlich drüben wie hüben umständlicher und undurchsichtiger geworden. Unser eingespielter Sommerurlaub bereitete meinem Sohn und mir eine Menge neuer Überlegungen und recht große „Sorgen“. Die nötigen Informationen dazu waren widersprüchlich. Die Entscheidung, ob wir uns auf den langen Weg machen sollten, mussten wir letztendlich selber treffen. Und wir zwei entscheiden uns schließlich zu fahren. Die Tatsache, dass in Deutsch-Weißkirch eine zweiwöchige Quarantäne uns erwarten könnte, bereitete uns mehr Freude als Sorge und ließ das Zünglein an der Waage in Richtung „JA, es wird gefahren“ ausschlagen.

Dann war es endlich soweit und wir standen zu diesem Entschluss. Der Caddy war schnell gepackt, wie alle Jahre wieder voll bis obenauf. Nach wie vor stand für uns fest, dass die Fahrt von 1700 km auch ein Reiseziel bleiben muss. Ein Durchfahren bis zum Bestimmungsort kam nicht in Frage, da wir beide keine so erfahrene und erprobte Autofahrer sind. Kurze Pausen einlegen genügte beiden nicht und wir planten von Anbeginn einen zweitägigen Aufenthalt in Wien und eine Übernachtung in Budapest ein. In Wien sollte dem Besuch des Belvedere Museums, die Einkehr im Palmenhaus zum Wienerschnitzel Essen und einer Fahrt in einer Sissikutsche mit der Führung in unvergessenem Wiener Dialekt nichts im Wege stehen. Ein langer Spaziergang entlang der Donau in Budapest war nach den gefahrenen Kilometern der beste Ausgleich für die erschlafften Glieder. In beiden Städten fiel uns allerdings auf, dass die strengen Infektionsschutzmaßnahmen, wie wir sie hier in Deutschland befolgt hatten, da doch unterschiedlich eingehalten wurden. Wir zwei mieden stark frequentierte Plätze, trugen die Maske, respektierten den Mindestabstand und achteten streng auf jede Form der Hygieneregeln. In Wien fühlten wir uns noch sicher, da auch hier ein Grossteil der Leute auf der Strasse oder in den Museen sich größtenteils konform der Schutzreglungen verhielt. Vor der berühmten Sacherkonditorei in der Fußgängerstraße z.B. sichteten wir eine lange Menschenschlange. Die Leute standen dicht an dicht und nur einige trugen eine Maske. Bei einer kleinen privaten Geburtstagsparty eines Bekannten in seinem neueröffneten Weinkeller in Budapest hingegen, trug keiner der Gäste eine Maske und die jungen Ungaren begrüßten sich locker mit Handschlag und mit weitherziger Umarmungen. Was sollte man davon halten? Verwundert waren wir schon, zogen uns unauffällig zurück und setzten am nächsten Morgen unsere Reise wie geplant, fort.

Und es wurde immer spannender, da die ungarisch-rumänische Grenze nun unmittelbar bevorstand. Bilder von Grenzüberfahrten noch von vor der großen Wende tauchen in meinem Kopfe immer auf, wenn ich mich dieser Barriere nähere. Vorbei sind ganz klar die Zeiten, wo wir machtlos vor der Willkür der Zöllner standen, die den Kofferraum durchwühlten, sich oft dreist aus dem Gepäckfundus bedienten und einem das Gefühl, ein kleiner Verbrecher zu sein, vermittelten. Während den vielen Jahren nach der Wende, wo mein Mann und ich unzählige Male diese Grenzübergänge passierten und im vollbeladenen Vito Mercedes Kleinmöbel und ganz viele Hilfsgüter hinüber transportierten haben, wurden wir freilich immer von den freundlichen Zöllnern einfach durch gewunken. Es kam nie zu irgendwelchen unangenehmen Zwischenfällen. In der Zeit hätte ich eigentlich die alten Ängste abbauen können. Es ist mir aber wirklich nicht gelungen, oder ich habe es nicht gewollt, zu vergessen, was wir in jungen Jahren an Bosheiten und Niederträchtigkeiten in dem Lande erleben mussten. Eine Portion Restangst ist in mir geblieben. Angst ist kein guter Begleiter im Leben. Das weiss ich. Gegen Angst kann man etwas tun. Das ist mir auch bekannt. Angst kann aber auch eine Art Umsichtigkeit sein und eine gewisse Schutzfunktion haben. Das habe ich schon oft erlebt. Auf unseren vielen Fahrten quer durch Rumänen habe ich sehr wohl gelernt, entspannter dem Land und den Leute gegenüber zu sein, die großen Veränderungen zu verstehen und auch zu schätzen und dennoch ist eine Portion Sorge und Unsicherheit tief in mir drinnen geblieben. Im letzten Sommer allerdings sollte demgegenüber eine neue und unberechenbare Angst unsere Wege begleiten. Das Covid19-Virus schlich unsichtbar aber sehr reell und schonungslos mit. Nach kurzer Wartezeit in der Autoschlange vor dem rumänischen Zollhäuschen bei Ngylaki Hataratkelöhely/ trat ein freundlicher rumänischer Zollbeamter auf uns zu. Ein kurzer fast gelangweilter Blick in den Candy, ein aufmerksamer Blick auf unsere Ausweise und in unsere freundlichen Gesichter und ein eindeutiger Wink zur Weiterfahrt sollte der gefürchtete Grenzübergang in Coronazeiten sein.

Etwas verblüfft aber erleichtert flitzen wir bei kräftigen Regengüssen über die Autobahn Richtung Hermannstadt. Nur ab und zu sorgte ein heftiger Platzregen dafür, dass wir langsamer fahren mussten. Kein Anhalten, kein Aussteigen! Es ging zügig voran und zu später Stunde des vierten Tages unserer Reise wurden wir von unseren ganz lieben rumänischen Nachbarn mit einem köstlichen Essen und bester Laune im Sommerrevier vor dem Sommerkamin empfangen. Wir waren zweifelsfrei zu Hause, als Claudiu uns mit dem Schnapsglas zuprostete und sagte: Bine ati venit acasa! / Willkommen zu Hause!

Es folgten vier entspannte und von Freude gesegnete Wochen in vertrauter Umgebung. Ein tägliches Beisammenseins bei Kaffee und Kuchen und bei gemeinsamen Abendessen mit Nachbarn und Freunden gehörte selbstverständlich dazu. Alles fand im kleinen häuslichen Bereich statt. Nur ein Handwerker war diesmal zur Stelle und stand mit Maske vor uns und hielt den Abstand ein. Schon am ersten Tag erfuhren wir, dass keine Reisegruppen aus In- und Ausland, die das Dorfbild in den letzten Sommern stark geprägt hatten, erwünscht waren und bald sogar verboten wurden. Für Einzeltouristen aus dem Inland waren allerdings die vielen kleinen örtlichen Pensionen als auch die kleinen Restaurants und Kaffees auf den unterschiedlichen Gehöfts offen. Die sonst reg besuchten Grossveranstaltungen waren abgesagt. Für die Besucher und uns Sommersachsen lag in den Jahren zuvor stets ein vielfältiges und teilweise auch sehr anspruchsvolles kulturelles Angebot bereit. Nun aber sollte es im Ort ganz ruhig und still sein. Kein Haferlandfest, kein Sachentreffen, keine Orgelkonzerte oder Kunstausstellungen und keine gemeinsamen Unternehmungen durften stattfinden. Eigentlich war ja unser Vorsatz sowieso, langsam den Tag angehen, lesen, erzählen, musizieren und ganz viel spazieren gehen. Wir nahmen uns extrem viel Zeit, jedes Eck im Haus, Hof und Garten zu inspizieren und zu begutachten, um eventuell weitere Pläne für die nächsten Schritte im Renovierungsprogramm zu schmieden. Wir hatten eben Geduld und Muße auch den neugewonnen Platz in der renovierten Scheune auf uns wirken zu lassen und interessante Verwendungszwecke eines solchen Raumes, gewiss zweckentfremdet, abzuwägen. Viele Plätze im Hof entlang von Zäunen und Wänden haben wir im letzten Sommer mit Pflanzen versehen. Nun hatten wir Gelegenheit, sie zu begießen und ihnen ein bisschen Zuneigung zu schenken. Beim weiteren Durchstöbern der unaufgeräumten hinteren Ecken im Schuppen tauchten immer noch Teile von alten Gartengeräten und Werkzeugstücke aus der aufgelösten Schreinerei des Schwiegervaters auf. Auch alte Fenster- und Türrahmen fanden wir zwischen den abgestellten Holzteilen und freuten uns, dass Nachbar Claudiu sie für seinen neuen Kuhstall verwenden kann. Sorgfältig haben wir die alten Stücke gereinigt und damit die Wände im Schuppen vor dem Sommerkamin oder auch die Bretterwände in der Scheune ausgeschmückt. An mehren Nachmittagen wanderten wir in die umliegende Hügellandschaft von Deutsch-Weisskirch: über das Auchen auf die Flachsaue und einmal sogar weiter über den Dommich zum Lämprichroch und an der rumänischen Kirche vorbei ins Dorf zurück. Meist aber spazierten wir durch das Dorf hoch zur Kirchenburg und zurück, meist ohne alte Bekannte zu treffen. Mein Mann konnte sehr wohl uns bei ähnlichen Spaziergängen durch Dorf zu jedem Sachsenhof die jeweilige Familiengeschichte erzählen und freute sich, wenn ein weiterer Hof von einem neuen Hausbesitzer vor dem Verfall gerettet wurde.

Und dreimal sind wir dann doch aus unserem Dorf ausgebrochen:

Unsere erste Fahrt führte uns über Stein, Seiburg, Leblang Richtung Fogarasch und nach der Wegkreuzung rechts über Scharosch und dann an Rohrbach vorbei bis Kleinschenk, die kleinste Gemeinde des Schenker Stuhls. Dass man hier in dem Gästehaus besonders fein und ausgiebigen ein dreigänge Menü serviert bekommt, hatten wir im letzten Sommer bereits erlebt. Diesmal gab es nicht nur ein ganz grossartiges Mittagessen für uns, sondern auch eine besonders nette Führung durch das Gästehaus vom Betreiber persönlich. Wie einfallsreich, wie urig und wie einladend schön alte sächsische Gebäude umgebaut werden können, muss jeder hier selbst erleben. Nicht nur Tisch und Bett passen da stimmig zusammen, sondern auch Bildern großen Künstlern und der typisch siebenbürgische Zimmerschmuck sorgen ebendort für ein fast schon majestätisches und gesegnetes Wohlbefinden. Unsere Reise führte uns danach auf der Straße 106 Richtung Norden ins idyllische Harbachtal direkt nach Agneteln. Der Ort liegt 60 km nördlich von Hermannstadt und ca 41 südlich von Schäßburg. Die Kirchenburg erreichten wir über die Fußgängerbrücke, die sicherlich noch aus alten kommunistischen Zeit stammt und über den Harbach führt. Ein großes Gerüst um die Kirche war für uns ein klarer Hinweis dafür, dass sie in Renovierung steckt und wir keinen Zutritt ins Innere des Gotteshauses haben konnten. Und dennoch, nach einem langsamen Rundgang um die Kirche, kam ein freundlicher Herr auf uns zu und ermöglichte uns nicht nur einen Blick in das Kirchenschiff, sondern er gab uns auch kompetente Auskunft zu den Ausgrabungen mit tatsächlich vielen Menschenknochen, die würdig auf den Erdhaufen gebettet lagen. Das es sich da nicht um Ausgrabungen sondern um fachgerechte Renovierungsarbeiten an den tragenden Kirchensäulen handelt, erklärte der Burghüter uns mit Kompetenz und Leidenschaft. Er lud uns zum Einweihungsfest der Kirche ein, welches im Sommer 2021 abgehalten werden soll. Wenn die Coronakrise sich entspannt, werden wir dieser Einladung durchaus folgen. Unsere Tagesfahrt ging dann auf der Straße 106 Richtung Norden weiter und elf Kilometer vor Schäßburg bogen wir links ab und folgten einem befestigten Weg bis zum abgelegenen Ort Jakobsdorf. Die Kirche konnte schon von Weitem gesichtet werden. Im Dörfchen war es so ruhig und still, wie draußen auf den Feldern auch. Die Sonne brannte überm Land und das Parken im Schatten der großen Eiche war uns sehr recht. Außer einer kleinen Kinderschar, die sich auf einem dicken umgefallenen Baumstamm tummelte, begegneten wir keiner Menschenseele. Eine unwahrscheinlich stolze Kirchenburg erhob sich vor uns. Baumaterial lag im Kirchhof, der nicht betretbar war, denn die gusseisernen Tore waren verschlossen. Unser Ziel war es im Übrigen bloß, die Kirchenanlage zu betrachten, den großen alten Baumbestand rund um auf uns wirken zu lassen und uns in Ehrfurcht vor einer sicherlich grossen ehemaligen sächsischen Dorfgemeinschaft in Gedanken zu verneigen. Während der Einkehr zu einem kleinen Abendessen auf einer der netten Terrassen in Schäßburg fanden wir beide, dass wir einen sehr erfüllten Tag erlebt hatten, auch ohne Besuch einer besonders aufwendigen Großveranstaltungen.

Das Reiseziel unserer zweiten Tagesfahrt war Felldorf/ Filitelnic. Zu erreichen ist das siebenbürgische Dorf aus dem Kokeltal über die Bundesstraße an Schäßburg vorbei in Richtung Tg. Muresch. Gleich nach Zendresch weist ein Verkehrsschild nach links auf einen befestigen Weg nach Felldorf hin und nach einigen Kilomerten Fahrt vor einer Weggabelung ging es erneut links weg. Wir fuhren über eine ruhige weite Hügellandschaft und begegneten keinen Fahrzeugen und nur ganz wenigen Menschen. Die typischen Weinberge schienen nicht bewirtschaftet zu sein, wie man sie in einem Weingebiet erwarten könnte. Im Dorf angekommen entdecken wir nach ein paar Metern entlang des kleinen Dorfgrabens links auf einer Anhöhe den bekannten siebenbürgischen Dreierkomplex: Pfarrhaus, Kirchenburg und seitlich fest an der Ringmauer angeschlossen das alte Schulhaus. Ich erkannte das Schulgebäude sofort an den Fenstern. Bereits schon vor Monaten las ich auf der Homepage des Vereins der Kulturerbe-Kirchenburgen in Siebenbürgen Berichte über Renovierungsarbeiten in Felldorf. Die ausgetauschte Fenster am Schulhaus fielen mir sofort auf. Ich war sehr dankbar, dass mir später ein Blick in das Klassenzimmer erlaubt wurde, in dem bald wieder die Dorfkinder unter vernünftigen Bedingung ihrem Schulalltag nachgehen können. Zugegeben mich überfiel ein Hauch von Nostalgie als ich die alte Tafel sah. Lebhaft konnte ich mir hier ein pädagogisches Wirken auch meinerseits vorstellen. Dann machten wir einen Rundgang um die stolze Kirchenburg, schlenderten an der Torbastei, an dem Speckturm, am Hocheinstieg, dem besonderen Treppenaufstieg zu dem Glockenturm vorbei bis vor den Kircheneingang. Dicke Kabel führten über den Vorhof in das Kirchenschiff, Foto- und Filmgeräte waren aufgestellt. Alles deutete darauf hin, dass ein Filmteam am Arbeiten war. Diese Annahme bestätigt sich. Es entstand eine nächste Dokumentation zu diesem Wunder in Felldorf. Auf Facebook kann man sich kundig machen. Auch hoher Besuch hier an Ort und Stelle von Prinz Charles machte noch vor Coronazeiten von sich reden. Nun stand ich genau auf dem Platz, auf der Steintreppe, auf der er, der Prinz gestanden ist. Es war aber sicher nicht der Grund, der mich bewog, bei meinem nächsten Aufenthalt in Siebenbürgen Felldorf zu besuchen. Nein. Es war ein Nachkomme dieser Dorfgemeinschaft der Georg Fritsch, in Österreich lebend, der über seine Berichten auf der Homepage meine Aufmerksamkeit weckte. Von dort erfuhr ich viel von der dramatische Geschichte dieses Ortes und seiner Bewohner und auch von den aktuellen Geschehnissen rund um die Kirchenburg in Felldorf. Auf dem Burghof stehend und in uns gehend, stellten sich erneut tiefe Gefühl der Ehrfurcht und des großen Respektes vor dem wertvollen Erbgut unserer Vorfahren ein. In unseren Gesprächen auf dem Weg heimwärts ging es um Fragen rund um das besondere traditionsreichen Leben unserer siebenbürgischen Vorfahren und deren besonderen Geschichte. Wie unbarmherzig die Naturgewalt sein kann und wie endlich die Schöpfung ist, wurde mir an diesem Nachmittag ungemein bewusst. Ich verneigte mich erneut in Gedanken vor der großen Bereitschaft junger Leute, die unglaublich schwere und außerordentlich gelungene Restaurationsarbeiten hier geleistet haben und noch leisten, um das großartige Erbe in Felldorf zu retten. Aus alten sächsischen Kirchengebäuden werden neue Nutzungsformen geschaffen: „Manchmal beginnt ein neuer Weg nicht damit Neues zu entdecken, sondern damit, Altbekanntes mit ganz anderen Augen zu sehen“, heisst es irgendwo auf der Leitseite von Georg Fritsch.

Unsere dritte Tagesfahrt führte uns auf Wunsch von Sohn Johann auf der alten Transfagarascheanstrasse hoch ins Gebirge zu dem Bileasee auf ca 2034 Höhe. Beim Aufstieg konnte ich mich nicht der Zeilen von Erich Kästner erwehren: „Sie sitzen in den Grandhotels. Ringsum sind Eis und Schnee. Rings um sind Berg und Wald und Fels. Sie sitzen in den Grandhotels und trinken immer Tee. — Sie sitzen in den Grandhotels und sprechen viel vom Sport. Und einmal treten sie, im Pelz, sogar vors Tor des Grandhotels — und fahren wieder fort.“ (Vornehme Leute, 1200 Meter hoch) Ein bisschen so, ging es uns an diesem Tag schon. Wir waren nach einer halben Stunde Fahrt mitten drin im Gewusel und Gemenge der Touristen. Masken wurden zwar getragen und ungewöhnlich saubere Toilettenhäuser standen bereit, aber etwas schwieriger wars mit dem Abstand halten vor den vielen Kiosks. Die einen rumänischen Kleinhändler boten ihre typisch witzigen Souvenirs freundlich an. Andere verkauften ihre köstlichen Spezialitäten wie z. B. Maiskolben, Maisbreikäserollen oder Mici und riesenlange Wurstbrötchen schön sauber verpackt. Den Abstand zwischen den vielen Menschen aber konnte man kaum einhalten. Nach einem kurzen Weg vom Parkplatz zum Hotel und dann weiteren 10–15 Schritten bergabwärts, breitete sich der Gletschersee mit seiner unverkennbaren Hütte romantisch und stimmungsvoll wie eh und je vor uns aus. Ein Menge von Handy-Fotografen und privaten Models vernebelten mir ein bisschen das Gemüt und die klare Sicht. Die Erinnerung an das Lavinenunglück aus dem Frühling 1973, als eine ganze Schulklasse aus Hermannstadt und einige unserer besten Professoren wie Schucki, Trayball verschüttet wurden, betrübten meine Gedanken zusätzlich. Ein Jahr vorher hätte es eindeutig mich und meine Kameradinnen erwischen können. Erst als Johann und ich diesen Tag auf dem kleinen Ring in Hermannstadt bei einem köstlichen Essen ausklingen ließen, kippte meine Stimmung wieder in erträgliche Bahnen.

Zur Rückreise nach vier Wochen Urlaub in Deutsch-Weißkirch / Siebenbürgen muss ich dringend folgendes abschließend mitteilen: Ein Sommer, wie jeder andere auch, war es sicher nicht. Unser Vorhaben wieder in Budapest und Wien Zeit zu verbringen, um uns von langen Fahrstrecken zu regenerieren, fiel aus coronabedingten Gründen völlig ins Wasser. Vor dem dringenden Durchreisegebot durch Ungaren und Österreich mit nur kurzen P-Pausen ließen wir es uns nicht nehmen, eine Nacht in Temeswar zu verbringen. Ein wunderschöner Abendspaziergang durch diese herrliche Stadt war uns gegönnt. Als wir dann am nächsten Tag kurz vor Passau in Deutschland übernachteten, fühlten wir uns in Anbetracht der steigenden besorgniserregenden Meldungen zu den Neuinfizierungen mit dem Coronavirus in ganz Europa völlig in Sicherheit. Welcher Trugschluss! In Cadolzburg angekommen war der Weg zum Schnelltest unumgänglich. Danach gehörten wir bis zum heutigen Tag zu den negativen.

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Roselinde Markel

Roselinde Markel wurde in Heldsdorf bei Kronstadt geboren. Sie arbeitete als Grundschullehrerin und hat eine Leidenschaft für Literatur.