Besuch der Marienburger Burg im Sommer dieses Jahres

Roselinde Markel
6 min readJan 4, 2023

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Gedanken zur Vergänglichkeit

Auch Marienburg am Rande des Burzenlandes war einmal eine stattliche Gemeinde mit einer gut funktionierenden siebenbürgischen Gemeinschaft, evangelischen Glaubens A.B. Die hübsche Kirche mit ihrer Ringmauer und. dem großen Pfarrhaus dahinter hatten schon immer einen märchenhaften Platz. am östlichen Rand des Ortes. Ein Feldweg führte daran vorbei ins umliegende Ackerland. Nicht weit musste man gehen und stand auch schon am Fuße eines Hügels auf dem die Burgruinen von Marienburg empor ragten. Hinter dem Burgberg schleppt sich auch heute noch ruhig und gemächlich der Alt durch die Landschaft. Ein recht heimtückisches Gewässer soll der Alt sein, erzählte uns Mutter immer wieder, um uns Kinder vor dem verlockenden Baden in den heftigen Sommerhitzen in diesem Fluss zu warnen. Schon so manches Menschenleben soll er in seine Tiefen mitgerissen haben und gleich auch tiefe Wunden in manche Elternherzen.

Nach Marienburg. bin ich oft als Kind auf einem Dreiviertelrad zusammen mit meiner Familie, Vater, Mutter, Schwester aus Heldsdorf an der weidenden Kuhherde vorbei geradelt, um den. Scheibgroßvater zu besuchen. Einmal, das weiß ich noch ganz genau, sogar besonders hübsch im Matrosengewandt gekleidet mit passender weißer Schleife im Haar. Es war die Beerdigung des Scheibgroßvaters, die ich nur teilweise noch in Erinnerung habe. Damals fand ich das Ereignis zwar aufregend aber weniger traurig, denn Großvater war ein sehr strenger und etwas verbitterter Mann. Heute weiss ich, dass sein Leben als Riemenmeister für Pferdesattel ein Auf und Ab war. Auch die beiden zurückliegenden Weltkriege, die er, wie viele andere auch, miterleben musste, haben sicherlich seine Lebensfreude getrübt.

Vor den Marienburger. Burgruinen bin ich oft als Kind staunend gestanden und hab geträumt, wie’s wär, wenns anders wär und ein Prinz mit einer Prinzessin den Berg aus einem prächtigen Schloss herunter käm. Alles weit weg von der damaligen Realität. Vor uns erhob sich ein großer Hügel wild überwuchert von Sträuchern, Wiesenblumen, riesige Kletten und Disteln und einigen karg wildgewachsene Obstbäumchen. Zu den Ruinen führten den Berg hoch mehrere festgetrampelte schmale Pfade. Immer schon wars etwas mühsam da hochzukommen. Es. gab Zeiten, da waren diese Wege zugewachsen und wir mussten uns neue festtreten, denn hoch zu kommen, war jedesmal das Ziel, wenn wir Kinder draußen spielen durften, bis Grossvater und Eltern am Tisch saßen und sich austauschten.

Einmal oben zwischen den Ruinen angekommen, hat uns Kinder weniger der weite. Ausblick auf die Äcker rundum, auf den Alt oder die Wälder interessiert, viel eher waren es die Ruinen selber, die von Gräsern zugewachsenen Kammerreste und die vielen Gruben in die wir steigen konnten. Hier war ein ruhiger Platz zum Träumen aber auch ein Spielplatz der besonderen Art, vielleicht auch, da verboten und teils gefährlich. Hier grasten oft Ziegen und Schafe und ließen sich von unserem Geschrei nicht stören. Im Innenhof der Ruinen herum zu hüpfen und auf den herumliegenden Steinen herum zu klettern, machte uns viel Freude. Eine gesunde kindliche Neugierde und ein unbekümmerter Entdeckungsdrang führte dazu, dass wir fast in jedes Eck der Ruinen krochen und fast in jede eingefallene Kammer eintauchten. Wir Kinder wussten, dass wir auf verbotenen Wegen uns herumtrieben aber groß war die Lust, hierher immer wieder zu kommen. Der Reiz der Spiele in Großvaters Garten oder die unschuldigen Sprung-, Fang – oder Versteckspiele auf der Friedhofsgasse rund um den tiefsten Brunnen der Welt am Eck der Strasse verblassten in Anbetracht der Entdeckungsexkursionen auf die Burgruine von Marienburg.

Ja, sie war schon immer ein aufregender Platz diese Marienburger. Burgruine, ein stiller und verlassener Ort zum Träumen und für romantische Augenblicke, weit weg vom normalen und reglementierten Leben im Sachsendorf dort unten.

Heute allerdings ist es genau umgekehrt. Oben auf der Burg pulsiert das Laben, im ehemaligen Sachsendorf ist’s still geworden. Mein Traum vom lebendigen Schloss naja einer ordentlichen. Ritterburg mit vielen Kämmerlein in den neu restaurierten Ringmauern, dem hübsch angelegten Innenhof mit gut abgesicherten Aufstiegen zu den Burgkammern. ist wahr geworden. Zwar ist die Burg nicht zu einer Verteidigungsburg gedacht, auch keineswegs zum Rückzugsort anstehender Angriffe von feindlichen Mächten, sondern ein Platz der Begegnungen, ein Ort gemeinschaftlicher Veranstaltungen aber auch ein Ort der Erinnerungen und andächtigen Momente. In den Vitrinen, die in den Kammern stehen, sind Gegenständen vor allem der siebenbürgisch sächsischen Dorfbewohner aus längst verflossenen Zeiten ausgestellt. Rund. um an den Ringmauern entlang kann man faszinierende Ausblicke ins weite Burzenland genießen. Prinzen und Prinzessinnen hab ich zwar keine gesehen aber sehr wohl eine Menge gut gelaunter und ehrfurchtsvoller Besucher. Bei leisen Musikklängen kann man über das Gelände schlendern und in den aufgeräumten Kammern über gute alte Zeiten, angeregt durch die Exponate aus den Vitrinen und den ausgestellten Gegenständen, sich informieren. Auch wenn die Burggestaltung den historischen Gegebenheiten nicht ganz entsprechen sollte, finde ich es dennoch bemerkenswert, dass aus den ehemaligen Ruinen, die kaum jemand nutzen konnte, eine aufgeräumte Burganlage entstanden ist. Hier finden Bürger aus der Region und aus dem ganzen Land aber auch ausländische Touristen einen besonderen Platz, sich mit geschichtlichen Ereignissen auseinander zu setzen und an verschiedenartigen Veranstaltungen. teilzunehmen, die für jung und alt gedacht sind. Wir waren schon ein zweites Mal fasziniert vom Ergebnis. und der Nutzung der Marienburger ehemaligen Burgruine. Wir erlebten jedesmal andächtige Besucher und freundliche und engagierte Veranstalter.

Letzten Sommer aber passierte es dann doch, dass beim Anblick der Dächer der Kirche, des Kirchturms und des evangelischen Pfarrhauses von dem Burggelände aus, ich nachdenklich wurde. Kirchenschiff, Kirchturm und Pfarrhaus erzählen allein schon über ihre. Grösse, von ihrer besonderen Wichtigkeit aus den vergangenen Zeiten dieses siebenbürgischen Ortes. Die ruhigen Barockklänge führten dazu, dass meine Gedanken in unbeschwerte Kindheitszeiten gelenkt wurden, in Zeiten als unsere siebenbürgischen Gemeinden noch überall lebendig waren. Ich stand gerührt und berührt da und ließ einigen Tränen freien Lauf.

Wieder unten in der Gemeinde angekommen, standen wir vor Mauern und Gebäuden, die mir vertraut waren, von denen sich allerdings einige hinter dem Geäst der Bäume und deren lustigem Laub versteckten. Viele Plätze, die kennzeichnend für ein siebenbürgisches Dorf waren, gibt es kaum noch so in der alten Ordnung, wie bekannt. Das kann eigentlich auch nicht erwartet werden. Es ist viel Zeit ins Land gegangen, seit sächsisches Leben hier blühte. Die Uhr am Kirchturm steht schon lange still. Der Riss am Turm könnte demnächst zu ihrem Einsturz führen. Die nasse Ringmauer um die Kirche erfreut das Auge auch nicht mehr. Und dennoch, die Zeit ist auch in Marienburg nicht stehen geblieben. Es leben andere Leute da, was auch an den veränderten Fassaden der Sachsenhäuser erkennbar ist. Das ehemalige Sachsendorf Marienburg ist zwar in einen märchenhaften Schlaf versunken, wie’s halt in vielen anderen Gemeinden auch passiert ist, aber man trifft erfreulicher Weise Bürger auf den Strassen, die zufrieden ihrem Alltag nachgehen. Auf der Marienburger Burg allerdings pulsiert ein Treiben der besonderen Art, welches unter anderem Vergangenes festhält .

Unwillkürlich musste ich an Worte von Hermann Hesse aus seinem Gedicht „Rückgedanken“ denken, welches mich ernüchterte und meine Wehmut minderte.

„ Und bald wird auch von dir und mir.

kein Mensch mehr wissen und erzählen,

Es wohnen andre Leute hier,

Wir werden keinem fehlen.

Wir wollen auf den Abendstern

Und auf die ersten Nebel warten.

Wir blühen und verblühen gern.

In Gottes großem Garten.“

Vor einigen Jahren fand ich in der Zeitschrift ‚Psychologie Heute’ ( Dez. 2005) einen Artikel der da hieß : Heimat, deine Ferne! Selbstverständlich weckte diese Überschrift meine Aufmerksamkeit und einige Fragen verinnerlichte ich so sehr, dass ich sie immer wieder gern mitteile:

„….werden wir den Einfluss des Geburtsortes auf unsere Identität und die prägenden Erinnerungen der Kindheit jemals los? Heimat, ob geliebt oder verpönt, ist ein kaum zu verdrängender Bestandteil unserer Persönlichkeit. Umso bemerkenswerter ist das Verschwinden all dessen, was Heimat einmal ausmachte: unverwechselbare Orte, prägende Kulturen, Traditionen und Bindungen.“

Gerade unsere Generation, der jungen Rentner*innen / Ruheständler*innen aus Siebenbürgen stammend, dürfte diesem Zitat vielleicht auch zustimmen. Heimat ist etwas Kostbares und sicherlich für jeden etwas Einzigartiges. Und dennoch glaube ich, dass es nicht gut ist, sich an altem Traditionellem zu fest – fest zu klammern oder sich von alten Gewohnheiten nicht trennen zu können. Es macht steif und unglücklich. Die Welt verändert sich rasant und keiner weiss, wohin sie uns noch führt. Meine Erkenntnis bezüglich der verloren gegangenen alten Heimat und der neu gefundenen Heimat in Deutschland festigte sich gerade in jüngster Zeit sehr, als ich von meinem Mann Abschied nehmen musste. Ich versuche heute mehr denn je, hier als auch drüben kleine Gemeinschaften mit Leben zu füllen. Ich nehme viele äußere Veränderungen meiner Welt ruhig an und Gewichte vorsichtig. Ich fühle mich nicht zweigeteilt, sondern doppelt gesegnet.

„Du aber traure, Lieber,

Nicht dem begrabenen Nachbarn,

Nicht dem Sommerglück länger nach

Noch den Festen der Jugend!

Alles dauert in frommer Erinnerung,

Bleibt im Wort, im Bild, im Liede bewahrt,

Ewig bereit zur Feier der Rückkehr

Im erneuten, im edlen Gewand.

Hilf bewahren du, hilf verwandeln,

Und es geht dir die Blume

Gläubiger Freude im Herzen auf.

H. Hesse aus ‚Regen im Herbst‘

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Roselinde Markel
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Written by Roselinde Markel

Roselinde Markel wurde in Heldsdorf bei Kronstadt geboren. Sie arbeitete als Grundschullehrerin und hat eine Leidenschaft für Literatur.

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